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›Nomadisierende Jung-Paläolithiker ziehen wie landschaftsgärtnernde Öko-Indianer durch die Mammutsteppe‹

Der verdiente Filmindianer »Iron Eyes Cody« wurde in den 1970er Jahren zur Galionsfigur der Öko-Bewegung. Sein wettergegerbtes Gesicht mit der großen Kullerträne im Auge wurde als Plakatmotiv und dem Motto »Umweltverschmutzung – es ist ein Jammer« weltberühmt. Heute weiß man, dass das schöne Bild vom Öko-Indianer trügt, weil die amerikanischen Ureinwohner nicht weniger schonungslos mit ›der Natur‹ umgingen, wie die expandierende europäische Zivilisation.

Das mächtige Bild vom pessimistischen Umgang des Menschen mit der Natur wendet sich häufig nicht gegen die gesamte Menschheit, sondern fokussiert sich auf die ›Untaten‹ der expandierenden europäischen Zivilisation. Dies liegt daran, dass es mit einem anderen Mythos rivalisiert, nämlich dem im 18. Jahrhundert entstandenen romantischen Klischee vom »edlen Wilden«. In diesem Bild werden die Bewohner nichteuropäischer Kulturen zu einfachen, unkomplizierten Menschen verklärt, die noch im idealen Naturzustand leben und deren Verhalten noch nicht durch zivilisatorische Einflüsse wie Gesetzen, Regierungen, Eigentum oder sozialen Teilungen verdorben ist.

Der »edle Wilde« wurde somit zum Vehikel einer umfassenden Kritik an den eigenen gesellschaftlichen Verhältnissen. Seinen literarisch erfolgreichsten Niederschlag hat das Bild vom »edlen Wilden« in den Reden des fiktiven Südsee-Häuptlings Tuiavii gefunden, die um 1920 unter dem Titel »Der Papalagi« erschienen sind. In den 1970er Jahren erlebte diese frömmelnde Zivilisationskritik eine Wiedergeburt, in dem das neuaufgelegte Büchlein zu einem Bestseller der Alternativbewegung wurde [Griep 1984]. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch Anfang der achtziger Jahre in einem missionarischen Anfall zwanzig ›Raubkopien‹ dieses Büchleins an befreundete Studenten verteilt haben.

Eine in der ›grünen‹ Umweltbewegung sehr erfolgreiche Variante des »edlen Wilden« ist der »Öko-Wilde«, der im Einklang mit der Natur lebt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der »Öko-Indianer«, der in den Augen von Naturschützern, wie ein Landschaftsgärtner durch die Prärie zieht und nur soviel Büffel tötet wie er unbedingt benötigt. Dieser »Öko-Wilde« ist natürlich ein Trugbild, denn heute weiß man, dass außereuropäische Kulturen nicht weniger schonungs- und respektlos mit der ›Natur‹ umgingen wie die expandierende europäische Zivilisation [Désveaux 1995, Krech 1999]. Tatsächlich standen nichteuropäischen Kulturen häufig nur geringere technische Mittel zu Naturaneignung zur Verfügung.

Den ›Vogel‹ bei dieser Geschichte hat jetzt wohl der Direktor des Neanderthal-Museums in Mettmann Gerd-Christian Wenger abgeschossen. In dem Artikel »Als der Mensch Neanderthaler raubte« (»Die Welt« vom 11.11.04) beschreibt er das Leben des vor ca. 40.000 Jahren in Europa eingewanderten, anatomisch modernen Mensch wie folgt: »Die Gruppen lebten nomadisch und zogen jeweils nach einigen Wochen weiter: Man nimmt an, daß die Jäger abschätzen konnten, wann das weiterziehen notwendig war, um die Wildbestände nicht durch Überjagen zu gefährden«.

Nun gibt aus Jung-Paläolithikum bekanntlich keine historische Überlieferung, die uns von einem solchem ›landschaftsgärtnernden‹ Jagdverhalten berichten könnte. So bleibt nur der fossile Befund und der zeigt eher das Gegenteil: Steinzeitliche Großwildjäger waren Opportunisten, die keine Skrupel hatten, ganze Herden über Geländeklippen zu stürzen oder wandernde Herden jahrhundertelang an den gleichen Engpässen aufzulauern und zu massakrieren. Und zwar oft erheblich mehr Tiere als sie später ausschlachten konnten. Solche Massaker sind sowohl aus Europa (Solutré in Frankreich) als auch aus Nordamerika (Olsen-Chubbock in Colorado oder Head-Smashed-In in Alberta) bekannt [vgl. z. B. Fagan 1993].

Kurz: Nach allem was man heute über die jagdlichen Methoden von nomadisch lebenden Jägern weiß, ziehen diese nicht weiter, um die Wildbestände zu schonen, sondern um Beständen zu folgen, die versuchen, dem Jagddruck auszuweichen.

Folglich ist hier wohl der »Öko-Wilde« mit dem Direktor des Neanderthal-Museums durchgegangen. Wenger liefert damit ein anschauliches Beispiel dafür, wie das pessimistische Bild vom Umgang des Menschen mit der Natur, das sich am Eindrucksvollsten in der Hypothese vom steinzeitlichen Massenmordes am Ende des Eiszeitalters niederschlägt, durch das Bild vom »Öko-Wilden«, in dem unsere steinzeitlichen Altvorderen als Landschaftsgärtner durch die Mammutsteppe ziehen, kontrastiert werden kann.

Literatur

Désveaux, E. (1995): Les Indiens sont-ils par nature respectueux de la nature? – Anthropos, 90, St. Augustin, 435-444

Fagan, B.M. (1993): Das frühe Amerika – Archäologie eines Kontinents – München

Griep, W. (1985): Wir sind doch keine Wilden! Europäische Zivilisationskritik in exotischer Verkleidung. – In: Theye, Th. (Hg): Wir und Wilden – Einblicke in eine kannibalische Beziehung. – Reinbeck, 288-317

Krech, S. (1999): The Ecological Indian: Myth and History. – New York

G.M., 15.12.04

 

 
   


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